Männertränen | Eine Erinnerung in zwei Szenen

In meiner frühesten Kindheit sah ich ich eines Abends auf dem Weg von der Toilette zurück ins Kinderzimmer, bei offenem Türspalt und klammheimlich, meinen Vater mit seinem Kopf in den Händen über die Knie gebeugt, weinend da sitzen. Mein Vater hatte an diesem Abend so verzweifelt da gesessen, weil er sich so furchtbare Sorgen um seinen eigenen Vater gemacht hatte. Mein Großvater war zu diesem Zeitpunkt im Krieg, für einige wenige Tage, aber dennoch sehr langwierige Stunden, ein politischer Gewissensgefangener gewesen und die Tränen, die ich an diesem Abend meiner frühesten Kindheit sah, waren die Tränen eines Sohnes, der sich Sorgen um seinen Vater machte und nicht wusste, ob er ihn lebend wiedersehen würde. Mein Vater, dieser mir so große Mann, sah an diesem Abend so verletzlich und so klein aus. 

In meiner späteren Jugend sah ich dann einen Vater, der den Tod seines Sohnes beweinte. Es war ein uns allen bekanntes Gerücht. Der Sohn meines Musiklehrers dürfte zum Zeitpunkt dieser Szene bereits einige Jahre verstorben gewesen sein. Während dem Unterricht hörten wir öfters Bach und Wagner. Das waren ihm seine beiden liebsten Komponisten. Die Tränen kamen ihm aber v.a., wenn er Bach hörte. Dabei stand er mit ausdruckslosem Gesicht versunken am Fenster. Der Tod seines Sohnes hatte sein Gesicht grundsätzlich versteinern lassen und ich beobachtete von der Ferne wie ihm die nassen Tränen die steinernen Wangen hinunter rollten. Mit derselben Ausdruckslosigkeit wurden die Tränen dann mit dem Daumen auch wieder weg gewischt. Dann machte er mit dem Unterricht weiter.

Wenn ich als junge Frau an diese beiden Szenen zurück denke, dann denke ich mir, dass ich selten in meinem Leben so etwas Schönes gesehen habe. Ebenso schön sind auch die Tränen eines Mannes aus Andrei Tarkovsky’s Film “The Sacrifice” (dt. “Das Opfer”). Hier geht es um die Tränen eines Mannes, der um sein eigenes Leben, sowie auch das Leben seiner Allerliebsten fürchtet. Er tritt mit Gott in Verbindung und dann geraten die Dinge aus dem Ruder. Genau wie das Leben der beiden Männer meiner Erinnerungen. Das Leben geriet massiv aus dem Ruder und machte sie letztlich zu Menschen. Mars in den Fischen lädt uns jedenfalls dazu ein uns Gedanken über das Leid von Männern zu machen. 


Quellen:

  • Frontbild: Clem Onojeghuo (Unsplash)

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